ZEIT ONLINE: Herr Stocker, nach 30 Jahren ist die Ars Electronica als Festival etabliert. Besteht da nicht die Gefahr, Wagemut und Experimentierfreude einzubüßen?

Gerfried Stocker, 45, warnt vor naiver Euphorie gegenüber digitalen Netzwerken

Gerfried Stocker: Ich hoffe nicht. Dieses Festival soll ein Labor bleiben. Wir laden Künstler ein zu einem Zeitpunkt, wenn sie mit ihren Projekten noch nicht fertig sind. Dadurch entsteht eine Vitalität, die strukturell gegen das Establishment kämpft.

ZEIT ONLINE: Im Laufe der Jahrzehnte gab es Wegweisendes zu sehen, aber auch zahlreiche Flops.

Stocker: Es sind immer wieder Dinge gehypt worden, die sich in der Folge erledigt haben. Die Ars Electronica ist nur ein Spiegel. Wenn man sich heute Videoaufnahmen mit Marvin Minsky und Timothy Leary anschaut, muss man lächeln. Gleichwohl sind viele Visionen von damals eingetroffen. Auch die Global-Village-Geschichte vom Anfang der Neunziger, die ein paar Jahre später als völlig naive Idee verunglimpft wurde. Und jetzt haben wir Wikipedia, HiperBarrio ... 

ZEIT ONLINE: … eine Gemeinschaft junger Blogger, die in diesem Jahr auf dem Festival mit der Goldenen Nica in der Kategorie "Digital Communities" ausgezeichnet wurde.

Stocker: Es gibt diese Demokratisierung und die Emanzipation der Zivilgesellschaft. Natürlich gibt es auch rein kommerzielle und oberflächliche Dinge. Der Erfolg von Facebook ist millionenfach größer als der von HiperBarrio. Aber es geht ja nie um Quantität, sondern um Qualität. Es ist interessant zu beobachten, wie sich die Visionen mit der Zeit transformieren.

ZEIT ONLINE: Eines der großen Themen der neunziger Jahre war die Netzkunst. Mittlerweile ist sie fast ein bisschen in Vergessenheit geraten. Woran mag das liegen?